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AutorenbildBrian Neuhöfer

Vergebung als Akt inneren Friedens: Wie wir uns selbst befreien


Zwei Pferde

Gehört Schuld und Vergebung der Kirche und ist das Thema längst vergessen? Oder ist es ein integraler Bestandteil von innerem Frieden? Warum haben Menschen oft im Sterbebett, wenn der Tod greifbar ist, das Bedürfnis Schuld zu vergeben und Vergebung zu erfahren?

Lass uns zusammen erforschen, wie Schuld, Situationen und Emotionen zusammenklebt und uns somit an die Vergangenheit bindet. Was Schuld und Vergebung so enorm wichtig und zeitgleich so herausfordernd macht, erfährst du in diesem Blogbeitrag.




"Dass Menschen in Schuld geraten, ist schlimm; aber sich schuldig zu fühlen und nicht an Vergebung glauben zu können, - das ist die Hölle."

Eugen Drewermann





 

Überschrift #1: Schuldspruch - von mir oder gegen mich?


Prof. Frederik Luskin ist US-amerikanischer Psychologe und u.a. Autor des Buchs „Forgive for Good“. Er gilt als einer der weltweit führenden Forscher zum Thema Vergebung.


Er berichtet Folgendes über das Thema Vergebung:


Es hat sich gezeigt, dass Vergebung Gefühle wie Wut, Verletzung, Depression und Stress reduziert und zu größeren Gefühlen der Hoffnung, des Friedens, des Mitgefühls und des Selbstvertrauens führt. Vergebung führt zu gesunden Beziehungen und zu körperlicher Gesundheit. Sie beeinflusst auch unsere Einstellung: Sie öffnet unser Herz für Freundlichkeit, Schönheit und Liebe. Fred Luskin, US-Psychologe an der Stanford University über Vergebung


Überschrift #2: Schuld durch Beziehung


Der Mensch kann sich ausschließlich durch Beziehung erfahren. Durch die Beziehung zu anderen Menschen, Tieren, Dingen und Orten. Diese Basis, Beziehungen einzugehen, ermöglicht erst, dass Schuld entstehen kann. Die Frage der Schuld, ist also eine Frage der Beziehungen. Ich kränke oder verletze jemanden, bin unachtsam gegenüber Tieren oder Gegenständen usw. usf.


Wer schuldig geworden ist spürt einen Zwiespalt: einerseits die Scham und die Angst, das Gesicht zu verlieren, andererseits das Bedürfnis, wahrhaftig gesehen zu werden, so wie ich bin.


Doch die Frage ist: welcher Maßstab bestimmt, ob ich mich schuldig fühle? Dieser Maßstab für Beziehungen (Scham-Schuld Mechanismen) entsteht überwiegend in den ersten 7 Jahren unseres Lebens, der Prägungsphase. Hier wird die Festplatte für viele wichtige Programme des Lebens geschrieben. Habe ich als Kind kaum Nähe und Liebe erfahren und versuche im Erwachsenenalter Liebe anzunehmen, ist es ähnlich wie ein Code, der aus lauter Nullen und Einsen besteht. Nur fehlt das nötige Programm, um diesen Code zu übersetzen. Um das zu verdeutlichen, nutze ich ein Psyche-Modell von Bernhard Voss.



Psycho-Modell Bernhard Voss

Sexualität und Aggression als Hauptenergien, das eine sichert unser Überleben, das andere die Fortpflanzung unserer Gene. Wut und Trauer dienen als Ausdruck und sorgen für Mitgefühl und der Fähigkeit zur Veränderung.


Die Scham- Schuldgrenze versteht sich als frühkindliche Mechanismen, die durch Erziehung, transgenerationale Traumen und Epigenetik geprägt sind. „Ein Indianer kennt kein Schmerz“, „als Mädchen tust du so etwas nicht“, „Schäm dich“, „kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort“. Diese Prinzipien deckeln die darunter liegenden Energien. Stell dir diese Energien wie Kochtöpfe vor, solange konstant Hitze abgegeben werden kann, brodelt und sprudelt nichts über.


Erst wenn Deckel (Scham/Schuld) auf die Töpfe kommen, entsteht ein Druck (Spannung). Dieser manifestiert sich dann in den tonischen Muskeln, Organen oder als bio-psychosoziale Komponente (Emotionen). E-Motion = Energie in Bewegung. Wenn also diese Energie gelebt, geäußert und frei fließen darf, sinkt das Erkrankungsrisiko jeglicher Art.


Bewusstseinsebenen Hawkins

Die Bewusstseinsebenen von Hawkins geben Aufschluss darüber, wie niedrig Scham und Schuld schwingen. Sie gelten als Vermeidungsmotivation und sorgen für Zurückziehung, Isolation und Lethargie. Funktionale Schuld- und Scham- Mechanismen sind essenziell für eine funktionierende Gesellschaft. Jedoch besonders die deutsche Geschichte ist belastet mit Scham und vor allem Schuld. Dazu kommen transgenerationale Traumen. 12 Millionen Geflüchtete, 2 Millionen Vergewaltigte, Gewalt und Verbrechen jeglicher Art. Das alles steckt in unseren Familiensystemen und sorgt für unbewusste Scham- und Schuld -Deckelungen.



 

In Coaching und Therapie arbeitet man sich oft durch viele Deckerinnerungen hindurch, um die mächtigen Scham- und Schuldgrenzen zu lösen. Kirchlicher Glaube, die Erbsünde und Erziehung dienen in der Regel der Konformität, um im Leben höchst anpassungsfähig und eher flexibel zu sein. Konflikte zu meiden, der Harmonie wegen. Das ist einerseits nachvollziehbar, dient jedoch nicht der Würde, der Autonomie und dem vollen Ausleben der eigenen Persönlichkeit. Viele von uns sind so abgetrennt von sich selbst und möchten mit dem eigenen Schatten nicht in Berührung kommen. Hier agiert wieder die Schuld- und Schamgrenze. Wir alle tragen Sexualität, Fantasien und Aggressionen in uns. Archetypen, Anima und Animus sind in jedem von uns zu finden, so unfassbar einzigartig und zugleich so schrecklich ähnlich.


Stell dir mal Folgendes vor: du stehst vor einer Gruppe von 20 Menschen und diese verneigen sich vor dir: wie würdest du reagieren?


Jeder von uns, sollte das aushalten, dass sich andere Menschen vor einem Verneigen. Nicht narzisstisch überhöht, sondern weil wir alle ein "unzerstörbares Bewusstsein, Seele, Liebe, Zentrum" in uns tragen. Das ist unfehlbar, wertvoll, einzigartig und gleichwertig.



Adler der über ein Wald fliegt

Überschrift #3: 4 Phasen der Vergebung durch DAVI


Um alte Schatten abzulegen, ist das DAVI-Prinzip geeignet.


  • Danken - und wenn es nur der kleinste Teil ist. Welche positive Fähigkeit habe ich durch diese "negative" Erfahrung entwickeln können? Danke für die Steine, die dir in den Weg gelegt wurden. Somit wurde daraus eine Straße. Was wären wir, so ganz ohne jegliche Wunde?

  • Annehmen - die Gefühle gehören dazu, gib dich hin und nimm an, dass jede Emotion sein darf und gefühlt werden darf. Nutze eine Klopf- und Atemtechnik aus meinen anderen Beiträgen.

  • Verzeihen - Schau in das Herz der anderen Person, sei wahrhaft und blicke nicht durch den Schmerz. Finde das Höhere in dir und schau durch diese Brille. Warum hat die Person das getan? Würde ein Mensch, der morgens in Fülle aufwacht, das Leben seiner Träume lebt, so etwas tun? Oder hat diese Person ebenfalls einen Schmerz gespürt? Es geht nicht um Rechtfertigung von Taten, sondern der Trennung von Verhalten und Identität.

  • Integrieren/inneres Kind. Schließe diesen Prozess mit der Verbindung zu dir selbst ab. Integriere das Erlebte als einen Teil, der zu dir gehört. Was kannst du jetzt für dich tun, um einen Ausgleich zu schaffen? Was braucht ein verletzter Anteil jetzt? Sei für diesen da. Geh in die Rolle die es braucht, Mutter, Bruder, Schwester und praktiziere ganz aktiv Selbstliebe.


Diese Arbeit kann man super alleine durchführen, vorausgesetzt man ist sich der Intensität der Situation bewusst. Zweifelt man, ob die emotionale Ladung zu stark sein könnte, empfiehlt es sich einen erfahrenen Therapeuten/Coach zu suchen.


In dem Moment der Vergebung, erfahren wir das Ultimatum: Befreiung. Wir lassen nicht nur die andere Person frei, sondern auch uns selbst. Teile in uns, sind sich bewusst, dass Schuldsprüche nicht dienlich sind. Der Akt des Vergebens wirkt doppelt - auf die andere Person, der Situation und somit auch auf mich. Projektion bedeutet: ich lehne das in dir ab, was ich in mir selbst unterdrücke. Ich beneide das in/bei dir, was ich gerne hätte. Ich vergebe dir das, was ich selbst ablehne.


Das zu Erkennen, bringt enorme Lebensfreiheit, braucht aber manchmal eine starke Referenzerfahrung durch starke Selbstreflektion oder Erfahrungen im Bereich Coaching oder Therapie.



Überschrift #4: Schuld drängt dich


Schuld drängt darauf, angesehen zu werden. Erkannt, bekennend, verarbeitet und ausgeglichen zu werden. Schuld möchte artikuliert und ausgesprochen werden. Jeder der schon mal eine ähnliche Erfahrung gemacht hat, weiß: es ist so heilsam darüber zu sprechen und sich zu öffnen. Im Mikrokosmos sind wir alle Täter. Ein Blick auf das Dramadreieck zeigt: aus Opfer wird Täter, später Retter oder umgekehrt. Wer an Reinkarnation glaubt, wird sich eingestehen müssen: egal in welchem Leben, auch ich bin bereits einmal Täter gewesen. Niemand kann unschuldig bleiben.


Vergebung ist ein Akt inneren Friedens - ist das wirklich immer so?


Befinden wir uns jedoch in einer dysfunktionalen Beziehung und vergeben dem anderen ständig, lassen uns erniedrigen und halten regelmäßig auch die andere Wange hin, gilt es sich aus dieser Beziehung zu lösen. Schuld kann genau wie Scham die nötige Wut unterdrücken, die nötig ist, um in die Veränderung zu kommen und sich zu lösen.


Überschrift #5: Welche Geschichte möchtest du schreiben?


Der Akt der Vergebung ist bedingungslos: Ich vergebe dir, weil ich deinen Schmerz sehe, nicht weil es gut für mich ist, zu vergeben. Ganz dem Motto: Wer frei von Sünde ist, werfe den ersten Stein. Manchmal ist es nötig, vorher intensive Emotionen zu lösen, um Richtung Vergebung zu gehen. Doch die Frage ist: welche Lebensgeschichte möchtest du schreiben?


Laut Untersuchungen haben ältere Menschen die Fähigkeit schneller zu vergeben. Ob es daran liegt, dass man die eigene Unzulänglichkeit im Laufe des Lebens mehr und mehr annimmt, oder das Fell so dick geworden ist, ist unklar. Eins ist jedoch klar: viele Menschen auf dem Sterbebett wünschen sich nicht nur Vergebung für sich selbst, sondern auch, dass sie anderen vergeben hätten. Scheinbar bringt uns die Endlichkeit die wirklich wichtigen Dinge ins Bewusstsein: wo habe ich mich unfair verhalten? Wo gibt es ungeklärte Konflikte? Wie blicke ich auf meinen moralischen Kompass zurück?


Untersuchungen zeigen, dass materialistische Ziele und Leistungen in der Retroperspektive weitaus kleiner scheinen, als sie zu "Lebzeiten" waren.



“Schuld ist wie ein Sack Ziegelsteine: Du musst sie nur abladen.“

Al Pacino

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