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AutorenbildBrian Neuhöfer

Bindungsstil verstehen: Wie entsteht unser Urvertrauen?

Kleiner Junge steht vor einer Treppe

Bindungsstil und toxisches Bindungsverhalten: Diese Begriffe sind im Volksmund mittlerweile weit verbreitet. Wie so oft, wenn wir über Verhaltensweisen und emotionale Themen sprechen, richten wir den Blick in die Vergangenheit: zur Ursprungsfamilie. Wie Bindungsstile entstehen, wie man Einfluss darauf nimmt, und weshalb wir familiär so stark geprägt sind, darum soll es in diesem Artikel gehen.


Weiter unten findest du meine persönliche Anekdote, wie aus einem unsicher- vermeidender Bindungsstil, ein sicherer Bindungsstil wurde!


 

Felix und Jana führen seit einigen Monaten eine Beziehung. Seitdem die anfängliche Verliebtheitsphase stark abnimmt, häufen sich die emotionalen Herausforderungen. Während Jana unsicher klammert und Nähe sucht, zieht sich Felix zurück. Bei Freunden berichtet Felix, dass er und Jana gut zusammenpassen. Er ist verwirrt, obwohl er Nähe und Intimität sucht, versteht er manchmal sein distanziertes Verhalten selbst nicht. Er meldet sich öfter nicht und sagt kurzfristig Treffen ab. Die Kommunikation bricht ein. Janas Verzweiflung steigt, damit auch das Klammern, trotz Felix' Versicherung, dass er sie liebe und die Beziehung möchte, gerät es ins Schwanken. Weshalb Bindungsstile und frühkindliche Bindungserfahrung einen Einfluss auf Jana und Felix haben, erfährst du im Laufe des Artikels. Auch wenn es theoretisch wird, bleib dran - es lohnt sich!

 

#1 Welches Verhalten ist typisch für einen bestimmten Bindungsstil?


Bindungsstile sind Verhaltensmuster, die sich in engen zwischenmenschlichen Beziehungen zeigen. Ein typisches Verhalten für den unsicher-vermeidenden Bindungsstil ist es, Distanz zu anderen Menschen zu halten und emotionale Nähe zu vermeiden. Betroffene zeigen oft eine geringe Bereitschaft, Vertrauen aufzubauen und ihre Gefühle zu teilen. Im Gegensatz dazu, zeigt der unsicher-ambivalente Bindungsstil oft ein übersteuertes Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und Nähe, was sich in starken Stimmungsschwankungen und Angst vor Ablehnung zeigen kann. Der sicher gebundene Bindungstyp ist durch eine gesunde Balance zwischen Autonomie und Nähe gekennzeichnet, wobei hier Vertrauen, Offenheit und Unterstützung wichtige Faktoren sind.


Um festzustellen, welcher Bindungsstil am besten zu dir passt, kannst du dir folgende Fragen stellen:


- Wie fühle ich mich, wenn ich in einer "romantischen" Beziehung bin?

- Wie reagiere ich, wenn mein Partner sich von mir distanziert oder mich zurückweist?

- Wie wichtig ist es für mich, unabhängig zu sein oder ständig die Nähe meines Partners zu spüren?

- Wie gut kann ich meine eigenen Bedürfnisse und Gefühle ausdrücken und mich auf die Gefühle und Bedürfnisse meines Partners einstellen?


#2: Was ist Bindung und welche Auswirkung haben frühkindliche Prägungen?


Der Begriff "Bindung" beschreibt die emotionale Verbundenheit zwischen Kind und Bezugsperson in den ersten Lebensmonaten. Da die Vertrauensbildung in den ersten 12 Monaten so primär ist, dürfen die Grundbedürfnisse des Kindes nicht vernachlässigt werden. Der Psychoanalytiker John Bowlby hat den Grundstein für diese Untersuchungen gelegt und erforscht.


In einem späteren Test von Mary Ainsworth, die zusammen mit Bowlby an der Londoner Tavistock-Klinik forschte, entstand folgender Test: "fremde Situation". Hier wurde das Verhalten zwischen Mutter und Kind untersucht. In diesem Experiment wurden Mutter, Kind und Versuchsleiter in ein Spielzimmer gebracht, dort verbrachten sie einige Minuten, bis die Mutter und der Versuchsleiter den Raum verließen. Die Sitzungen wurden aufgezeichnet. Nach einigen Minuten kam die Mutter nochmal zurück ins Spielzimmer. Die Reaktion der Kinder auf das Zurückkommen der Mutter wurde unter dem Begriff "Trennungsstress" untersucht.


Hier zeigten sich vier Verhaltensschemata:


  • Sicher: 66 Prozent der Kinder waren sicher gebunden und sind meist traurig über die Trennung. Sobald die Mutter zurückkehrt, zeigen sie Freude, lassen sich eventuell trösten und spielen dann zufrieden weiter.


  • Unsicher-vermeidend: 20 Prozent sind unsicher-vermeidende Kinder, sie ignorieren die Mutter bei ihrer Rückkehr und zeigen keine Traurigkeit über die Trennung, sind daraufhin jedoch im Spiel gehemmt und beobachten sie.


  • Unsicher-ambivalent: 12 Prozent zeigen große Traurigkeit über die Trennung, nach Rückkehr der Mutter wechselt das Verhalten zwischen engem Kontakt und einem wütenden Abwenden. Der Mutter fällt es schwer sie zu beruhigen, es ist kaum möglich.


  • Unsicher-desorganisiert: 2 Prozent wirken bei der Rückkehr der Mutter wie erstarrt, sind verstört oder bewegen sich auffällig.

Oft zieht sich ein unsicher ambivalenter Bindungsstil und ein unsicher-vermeidender Bindungstyp an, was jedoch zu Komplikationen in einer Beziehung führen kann. Einer klammert, der andere flüchtet. Wichtig: das spätere Bindungsverhalten ist nicht immer von der Mutter abhängig. Bindungstypen machen generell Aussagen über die Fähigkeit, mit Stresssituationen umzugehen. Das Verhalten orientiert sich daran, ob die Beziehung sicher oder unsicher war.

Warum das Bindungsverhalten so einen hohen Einfluss auf die Entwicklung des Kindes hat, zeigt sich im Ergründen neuer Situationen und dem Umgang mit diesen. Fühlt sich ein Kind sicher, erforscht es neugierig seine Umwelt, dieses Verhalten nennt man "Exploration". Die Bezugspersonen dienen dann als sicherer Hafen, um diese Erfahrungen nach und nach zu verarbeiten. Somit entsteht ein Wechselspiel aus Bindung und Exploration.


Damit sich Kinder gesund und glücklich entwickeln können, ist eine sichere Bindung entscheidend. Das Urvertrauen ist ein wichtiger Schutzfaktor vor emotionalem Stress, denn der Zusammenhang zwischen Resilienz und Bindungsstil konnte in einer Vielzahl von weiteren Untersuchungen aufgezeigt und nachgewiesen werden. Der Forschungsstand gilt als sehr solide.

 

#3: Unterschiedliche Bindungsstile und Urvertrauen


Finde deinen Bindungsstil heraus: https://www.idrlabs.com/de/bindungsstil/test.php

Werbereklame auf dem ein Gehirn abgebildet ist

Bindungsstile - Übersicht


In der folgenden Tabelle findest du die verschiedenen Bindungstypen nach der Entwicklungspsychologin Mary Ainsworth:

Bindungstypen und verschiedene Bindungsstile

Auswirkung von Bindung im Erwachsenenleben:


  • zwischenmenschliche Beziehungen (Freundschaft, berufliche Beziehungen und Partnerschaft)

  • psychische und körperliche Gesundheit

  • Verhalten von Bindung zu den eigenen Kindern

Sichere Bindung und ihre positiven Auswirkungen:


  • Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und sich selbst

  • Konstruktives Umgehen mit Stresssituationen

  • Freudigkeit im Kontakt

  • Bereitschaft zum Lernen

Unsichere Bindungen und die häufigsten Auswirkungen:


  • Psychische Instabilität

  • Misstrauen und geringeres Selbstvertrauen

  • Herausforderungen bei der Gefühlsregulierung

  • Schwierigkeiten, soziale Kontakte zu knüpfen

 

Exploration


Exploration meint: Erkundung, Entdeckung, Erforschung. Balance zwischen Bindung und Exploration ist im Kindesalter besonders wichtig, da Sicherheit und Neugier als Grundbedürfnisse dadurch gedeckt werden, dass Bezugspersonen den Rahmen für dieses Wechselspiel halten. Exploration sorgt für ein Entdecken aus Neugier, somit werden eigene Erfahrungen möglich. Bindung und die damit verbundene Sicherheit sorgt dafür, dass Kinder das Erfahrene und Neue, in einer sicheren Umgebung bei ihren Bezugspersonen verarbeiten können. Hier entsteht Autonomie.


Bindung


Während Bindung sich dabei laut aktuellen Untersuchungen maximal auf drei bis vier enge Bezugspersonen bezieht, kann sich ein Zugehörigkeitsgefühl auch auf eine deutlich größere Personengruppe erstrecken.


Urvertrauen


Babys bilden bereits in den ersten Lebensmonaten ein feines Gespür dafür aus, wie zuverlässig sie sich auf ihre Bezugsperson verlassen können. Für die sichere Bindung zwischen Kind und Bezugsperson ist das Urvertrauen enorm wichtig. Laut dem Psychoanalytiker Erik Erikson ist die Bildung des Urvertrauens ein wichtiger Faktor für die Entwicklung und Wahrnehmung eines Kindes.


#4: Meine Beziehungsheldenreise und wie man den Bindungsstil beeinflusst
Herbstblätter an einer Wäscheleine
 

#3.1: Meine Beziehungsheldenreise


Meine Beziehungsreise startete als ängstlich/unsicher-vermeidend und baut sich heute nach und nach zu einem sicheren Stil aus, auch über die Partnerschaft hinaus. Vorher waren Vertrauensprobleme und der Drang sich ständig neuen Reizen hinzugeben, genau mein Thema. Während Freunde oft Verständnis hatten. Standen mir die Freunde einfach loyal zur Seite? Oder war ich einfach manipulativ? Wie kam diese Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung meiner Freunde und den Partnerinnen zustande?


Und genau hier triggerte immer wieder mein Bindungsstil, der vor allem vermeidend war. Kam mir eine Frau emotional zu nah, habe ich Gründe gesucht (die man übrigens dann auch immer findet), um die Bindung nicht fester einzugehen. Lege ich vorher meine Liste über einen Partner (der darf dies nicht tun, muss so aussehen etc.), kann es ein Hinweis auf eine sinnvolle Strategie sein, um Bindung aus dem Weg zu gehen.


Zu jener Zeit habe ich mich offen und warmherzig gezeigt, viele Partnerinnen kennengelernt und auch versucht Bindung einzugehen, jedoch hat das unbewusste Bindungsprogramm schnell den Stecker gezogen, sobald die Möglichkeit nach fester Bindung bestand.


#3.2: Wie beeinflusse ich den Bindungsstil?

Das wichtigste vorab: Die Bindungsstile sind lediglich ein Modell der Wissenschaft. Das Modell ist fest und starr, jedoch sind wir lebendige Prozesse. Laut Forschungen, verändert ein Drittel der Erwachsenen positiv ihren Bindungsstil, aufgrund von gesunden Bindungserfahrungen. Neurogenese und Neuroplastizität befähigen uns zum lebenslangen Schöpfen und Lernen.

Wie also habe ich das denn geschafft?


Bei EmTrace und Bindungsstil geht es in zwei Richtungen:


die Erfahrung positiver Bindung zu erleben

Systemische Struktur/-Familienaufstellung


Ich habe beides gemacht. Ersteres war schwierig. Immer wieder in den Schmerz rein. Bewusstsein, Coaching .. hingucken. Das Familiensystem in sich zu heilen, war einfacher. Achtsam das eigene Programm zu beobachten. Welche Frauen/Männer lasse ich in den Kreis potenzieller Partner? Wann ist der Moment, in dem sich eine anlaufende Beziehung plötzlich ändert? Liegt es dann wirklich an dem anderen? Wie war es in den Beziehungen davor? Erkenne ich vielleicht sogar ein Muster? Und habe ich dieses Muster erkannt und bin vielleicht sogar schon müde von dem ständigen ON/OFF, Tinder und One-Night-Stands - bin ich dann bereit proaktiv etwas an meinem Programm zu ändern? Die Schuld nicht mehr auf die blöden Frauen/Männer zu schieben, die ich anziehe, sondern übernehme Verantwortung für mich und mein Leben?


Lese ich vielleicht Blogs, höre Podcasts oder hole mir Unterstützung bei Coaches/Therapeuten?


Das sind viele Fragen, jedoch lohnt es sich auch hier, genau hinzuschauen. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir evolutionsbiologische Verankerungen und Wünsche nach einer festen Beziehung in uns tragen, die auch Glaubenssätze und subjektive Weltwahrnehmungen aus Instagram und OnlyFans nicht ändern können.

​Leben ist nicht starr, Beziehungen sind dynamisch und Muster lassen sich durchbrechen. Solltest du auf deiner Beziehungsheldenreise einfach noch nicht weit genug sein, sieh es als bewusste, spielerische Herausforderung und lerne dazu, sowohl theoretisch als auch durch Versuch und Irrtum. Kreiere dein Beziehungsmodell selbst, indem du Empathie gegenüber anderen Bindungstypen zeigst. Minimiere die Distanz zwischen Selbstbild und Fremdbild: werde dir der vier Bindungsstile bewusst, für eine glückliche Partnerschaft!


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